Dem Ende entgegen (3)

Einen wunderschönen guten Tag,

es hat eine ganze Weile gedauert, aber jetzt ist der dritte von den elf Teilen der Geschichte endlich fertig. Ich hoffe er wird euch gefallen. Mit etwas Glück kommen die nächsten Teile wieder schneller,

Fühlt euch gegrüßt

Larry deVito

Arno Wilhelm – Dem Ende entgegen – Download Kapitel 1 – 3

Kapitel 3

„Ich will deine Stimme nicht mehr hören, ich will dich nicht sehen, ich will, dass du mich nicht anrufst. Ich brauche einfach Abstand, wenigstens für ein paar Wochen.“
Ihre Stimme klang nicht wütend oder aufgeregt, doch dieser kalte, nüchterne Ton machte Tim mehr Angst, als es ein hysterischer Wutanfall getan hätte.
„Das ist bei mir angekommen, du musst es nicht noch öfter wiederholen. Aber kannst du mir vielleicht verraten, warum? “
„Weil du mich nicht liebst…“
„Helena!“, unterbrach er sie. „Du weißt genauso gut wie ich, dass das nicht stimmt.“
„Lass mich einfach ausreden. Natürlich liebst du mich irgendwie, du hast Gefühle für mich, aber du liebst mich nicht so, wie du deine Arbeit liebst, wie du es liebst dich vor deinen Studenten wichtig zu machen und von ihnen angehimmelt zu werden.“
Ihre Stimme, die gerade eben noch fest und kräftig gewesen war, wurde schwächer und brach ab.
„Es ist nichts Besonderes passiert, während du weg warst. Aber vielleicht ist es gerade das. Es passiert nichts mehr – zwischen uns, meine ich. Irgendwie ist mir das in den letzten Tagen klar geworden und ich glaube, nichts in der Welt, nichts was du sagst, kann das jetzt gerade wieder ins Lot bringen. Ich habe das Gefühl, ich komm schon lange nicht mehr an dich heran. Als ob…“
Sie schien nicht zu wissen, wie sie den Satz vollenden sollte.
„Als ob was?“
Tim hätte nie gedacht, dass der Tag so enden würde. Voller Vorfreude auf Helena hatte er sich durch den Regen gequält, um endlich nach Hause zu kommen. Nur zwei winzige Tage war er weg gewesen, und doch hatte er sie schon so furchtbar vermisst, als wären sie ein halbes Jahr oder noch länger voneinander getrennt gewesen. Doch statt ihrem Lächeln und vielleicht einem vorgekochten Abendessen, hatte ihn im Flur ihrer gemeinsamen Wohnung ein bis an den Rand vollgepackter Koffer erwartet. Sie war im Wohnzimmer gewesen, in seinen antiken Schaukelstuhl gelehnt. Hatte einfach mit einer Tasse Tee in der Hand auf ihn gewartet, und ihm verkündet, dass es aus war.
„Als ob…“, fing sie den Satz ein weiteres Mal an. „Als ob du mich gar nicht mehr kennst.“
„Das ist doch blanker Unsinn. Und das weißt du! Was ist der eigentliche Grund? Was ist passiert während ich weg war?“
Seine Stimmung schwankte zwischen Wut, Trauer und unbeschreiblicher Frustration.
Er sah, dass sie weinte, und wusste nicht, ob er auf sie einreden, sie anschreien, oder sie in Ruhe lassen sollte. Vielleicht würde sie ja in den nächsten Tagen wieder zu Besinnung kommen, und alles wäre wie immer. Statt irgendetwas zu tun, stand er einfach nur da, auf der Suche nach den richtigen Worten, und sah ihr beim Weinen zu.
Und dann war sie weg. Einfach weg. Ein kurzer Abschiedskuss, ein paar gemurmelte Worte, Tränen in ihren Augen, dann die Tür, die ins Schloss fiel. Wie paralysiert war er dagestanden, vollkommen überfordert mit der Situation. Weit von dem Grad an klarem Denken entfernt, dessen er sich sonst so rühmte. Mit zitternden Fingern hatte er sich einen Brandy eingeschenkt und sich in den Schaukelstuhl gesetzt, in dem gerade noch Helena gesessen und auf ihn gewartet hatte. Was war hier passiert? Was für Gründe konnte es haben, dass Helena ihn verlassen wollte oder vielmehr gerade verlassen hatte? Dieser Satz, dass nichts Besonderes passiert sei in den letzten Tagen, war ja sicher nicht ihr Ernst gewesen. Hatte sie sich in einen anderen verliebt? Vielleicht war er wirklich zu viel in der Uni gewesen, aber das war doch nichts Neues. Das war schon als sie sich kennengelernt hatten so gewesen. Er konnte es sich einfach nicht erklären, es nicht begreifen.
Als die Flasche Brandy sich ihrem Ende entgegen neigte, hatte er bereits 14 Nachrichten auf Helenas Mailbox hinterlassen, ihr unzählige E-Mails geschrieben und erfolglos etliche Hotels abtelefoniert, wo ihn freundliche Computerstimmen darauf hingewiesen hatten, dass sie ihm über die Gäste ihres Hauses leider keinerlei Auskünfte geben dürften. Bisher hatte Helena weder zurückgerufen, noch sonst auf irgendeine Art und Weise reagiert. Zu gleichen Teilen betrunken, traurig und verwirrt legte er sich ins Bett und fiel schon bald in einen unruhigen Schlaf, aus dem er immer wieder hochschreckte, nur um Helenas Teil des Bettes verlassen und unberührt neben sich zu sehen.

Tims Gedanken kehrten in die Gegenwart zurück. Sein Blick schweifte zu dem kleinen Tisch am Fenster. Es war der Tisch, an dem sie auch damals gesessen hatten. An dem Tag, als er Helena den Antrag gemacht hatte. Einerseits kam er sich seltsam pathetisch vor, heute ausgerechnet hier essen zu gehen, andererseits wurde es dem Anlass auf eine ganz eigene Art gerecht. Wieder sah er auf die Uhr, es waren noch fast sechseinhalb Stunden. Seit er das letzte Mal geguckt hatte, waren nur ein paar Minuten vergangen. Das Restaurant in dem er saß, war minimalistisch eingerichtet, aber die Kombination der massiven schwarzen Tische mit den grauen und weißen Wänden hatte eine angenehme Wirkung. Zusammen mit dem gedämpften orangen Licht, das von den Strahlern überall im Raum ausging, sah der Raum geschmackvoll und edel aus. Bei jedem Besuch hier hatte Tim versucht einzuschätzen, ob es wohl damals noch von Menschen eingerichtet worden war, oder ob es Roboter nach Design-Katalogen und Richtlinien bestückt hatten. Bis heute war er sich mit der Antwort nicht sicher.
Aus dem Augenwinkel sah er, wie ein weißes Tablett das den Ausmaßen seines Tisches entsprach, sich wie von selbst in seine Richtung bewegte. Darauf stand sein Essen, ein Glas und eine Flasche Mineralwasser. Ursprünglich hatte vorgehabt, heute etwas außergewöhnliches zu essen. Ein Gericht, das er sich noch nie zuvor bestellt hatte, dazu vielleicht ein seltener Wein aus dem vergangenen Jahrtausend. Doch als er hier angekommen war, hatten ihm die Erinnerungen an Helena und die unzähligen Male, die sie hier zusammen gegessen hatten, den Appetit verdorben und er hatte einfach das Übliche bestellt. Das Tablett hielt direkt neben Tim an und schob sich langsam auf seinen Tisch. Der kleine graue, rechteckige Roboter, der darunter zum Vorschein kam, nutzte seine kleinen Greifarme, um es exakt auf die Tischplatte zu positionieren, dann rollte er wieder Richtung Küche davon.
Das Tablett war aus dünnem weißem Marmor und bildete einen schönen Gegensatz zur schwarzen, glatten Oberfläche des Tisches darunter. Das Essen sah aus wie immer und Tim wusste, dass es perfekt schmecken würde. Wie immer. Die Küchenroboter, die es gekocht hatten, machten keine Fehler, schließlich war dies hier ein nobles Restaurant. In den billigen Imbissen, wo mit veralteten Programmen und betagten, teilweise schrottreifen Robotern gearbeitet wurde, kam es durchaus vor, dass ein Schnitzel angebrannt war, oder ein Braten zu lange im Ofen gelegen hatte. Über diese Probleme hatte Tim im vorletzten Semester Studien durchgeführt, um die Problematik veralteter Technik und mögliche Mittel dagegen analysieren zu können. Doch hier gab es so etwas nicht. Diese Gleichmäßigkeit des Lebens, die er bisher immer so geschätzt hatte, hatte begonnen ihn zu langweilen. Perfektion, die so weit getrieben war, dass es uninteressant wurde. Es hatte schon angefangen, bevor Helena gegangen war, doch in den letzten Wochen fand er überhaupt nichts mehr, woran er sich noch wirklich erfreuen konnte. Er saß in einem der besten Restaurants der Stadt, vor sich ein tadelloses Angus-Steak, einem seiner Lieblingsgerichte, und doch konnte er nicht anders, als in Selbstmitleid und Trauer zu baden.
Eine Stimme hinter ihm riss ihn aus seinen düsteren Gedanken.
„Tim? Dich hab ich ja lange nicht gesehen. Wie geht’s dir?“
Schon bevor er sich umgedreht hatte wusste er, dass es Jakob war, Prof. Dr. Dr. Jakob Linz, um genau zu sein. Ein Kollege von der Uni, mit dem er sich immer gut verstanden hatte, auch wenn sie an verschiedenen Fachgebieten arbeiteten und kaum etwas miteinander zu tun hatten. Halbherzig zwang er seine Mundwinkel zu einem Lächeln als er zu Jakob aufsah, machte sich aber nicht die Mühe aufzustehen, als sie einander die Hand reichten.
„Mir geht es ganz gut. Und dir?“
„Super. Wir haben gerade ein neues Projekt begonnen.“
Jakob lächelte begeistert. In seinem schwarzen Maßanzug mit goldenen Manschettenknöpfen und gold schimmernder Krawatte wirkte er hier trotz der Exklusivität des Restaurants beinahe zu gut angezogen. Ein sportlicher Mann, dessen kantiges Gesicht und krumme Nase nicht so recht zu seinem außerordentlich hohen Intellekt passen wollten. Er wirkte nie wie ein Akademiker, eher als müsste er gleich zurück aufs Rugby-Feld. Beim Gedanken an seine nächsten Forschungen wirkte er stolz und glücklich, voller freudiger Erwartungen.
„Wir wollen die humanoide Neo-Robotik erweitern. Um das zu feiern, war ich mit Laurens und seiner Frau hier essen, die sind aber schon wieder weg. Momentan arbeiten wir zu dritt an dem Projekt. Wenn alles klappt werden wir den Robotern ein breiteres Spektrum an Emotionen und Ausdrucksmöglichkeiten zu geben.“
Tim hatte das Interesse schon nach dem „Super“ verloren. Während Jakob weitersprach, nickte er nur noch, lächelte, und murmelte hier und da unverständliche Laute. Nach ein paar weiteren Sätzen während denen Tim sich keinerlei Mühe gab, dem Monolog seines Kollegen zu folgen, war das Gespräch vorbei und Jakob verabschiedete sich in Richtung Tür.
So war es Tim immer gegangen in den letzten Wochen, bei jeder einzelnen Unterhaltung. Mit Studenten ebenso wie Kollegen. Er wusste, dass ihn ein solches Projekt früher brennend interessiert hätte, wahrscheinlich hätte er Jakob an seinen Tisch gebeten und sie hätten gemeinsam noch stundenlang begeistert darüber diskutiert, was die nächsten Schritte in der Robotik waren und wie das die Wirtschaft und die sozialen Verhältnisse beeinflussen würde. Doch nun versuchte er nur noch jede Form der Unterhaltung zu meiden, oder möglichst schnell hinter sich zu bringen.
Tim starrte auf seinen Teller hinab. Das Steak war mittlerweile kalt geworden. Er aß ein paar Bissen davon, stocherte lustlos im Gemüse und den Bratkartoffeln, dann entschied er sich zu gehen. „Der Appetit kommt beim Essen“, hatte seine Mutter früher immer gesagt, und ihm bei jeder Mahlzeit Nachschlag auf den Teller geschaufelt. Heute war er sich nicht mehr sicher, ob das so stimmte.
Mit einem Schulterzucken schob er den Teller von sich, stand auf, zog sich seinen Mantel an und ging Richtung Ausgang. Wieso war er überhaupt hierhergekommen? Dass dieser Ort der Erinnerungen an seine Zeit mit Helena ihm keine angenehme Stimmung bescheren würde, hätte er sich auch denken können, dachte Tim verärgert. Wie sollte er den weiteren Tag verbringen? Was gab es noch, was er gerne tun wollte? Auf diese Frage hatte er noch immer keine Antwort.
An der Tür angekommen, drückte er seinen Finger auf den Scanner. Das Geld für das Essen würde ihm automatisch vom Konto abgebucht werden. Die Tür schwang auf und eine metallische Stimme verabschiedete ihn mit den Worten:
„Vielen Dank, dass sie unser Gast waren. Beehren Sie uns bald wieder!“
Er hätte nicht hierher kommen sollen, dachte Tim.

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