Hinter verschlossenen Türen (8)

Hinter verschlossenen Türen – PDF

8.  Kapitel

Ein Stromstoß durchzuckte ihn und Peter fluchte leise. Er war nicht richtig bei der Sache.
»Okay, neuer Versuch.«
»Bist du bald fertig?«
Lisa-Marie wirkte gereizt. Das hier war nicht ihre Aufgabe, nicht ihre Welt. Sonst trat sie erst auf den Plan, wenn es für sie auch etwas zu tun gab. Aber seit Skinnys Tod waren sie gezwungen, eine Menge Pläne umzuwerfen. Auch Peter beschäftigte sich normalerweise, wenn er einen Job geplant hatte, nicht mit Kleinigkeiten wie diesen Sicherheitsschleusen. Das verstärkte seine Nervosität nur unnötig. Er zwang sich zur Ruhe und probierte es erneut. Langsam schob er die beiden Drahtenden in den Spalt, der die Code-Karten der Mitarbeiter aufnahm, die für eine Fingerabdruck-Identifizierung nicht wichtig genug waren. Dabei handelte es sich fast ausschließlich um Studenten in Forschungsprojekten. Er und Lewandowski hatten den Aufbau der Schleusen lange studiert, bis ihnen diese Art von Überbrückung in den Sinn gekommen war. Doch der Spalt war dünn und Peter durfte nicht abrutschen, wenn er Stromschläge vermeiden wollte. Beim dritten Versuch klappte es endlich. An der Platine, die mit den Drähten verbunden war, leuchtete ein Lämpchen auf, dann öffnete sich mit einem leisen Surren die Schleuse. Danach war die zweite Schleuse ein Kinderspiel. Peter wischte sich den Schweiß von der Stirn. Solche Aufgaben hatten bisher immer Skinny oder einer seiner Kollegen übernommen, doch auf die Schnelle war es nicht möglich gewesen, adäquaten Ersatz zu finden. Zuviel hatte ihm an Skinny gelegen. Er hinterließ als Freund und Kollege eine Lücke, die schwer zu füllen sein würde. Kein moderner Einstein, aber ein loyaler Mann, auf den man sich verlassen konnte. Der Doc hatte ihnen erklärt, dass ein Blutgerinnsel Schuld an Skinnys Tod gewesen sei. Hervorgerufen durch die Wunden, die Peters Plan verschuldet hatte. Er schob den Gedanken so weit weg wie möglich. Jetzt ging es um Konzentration. Er sah sich auf dem engen Korridor um und gab Lisa-Marie und Fluffy ein Zeichen. Sie liefen zur Eingangstür des Labors.
»Ist die Luft rein?«
Aus Gewohnheit presste er sich bei diesem letzten Satz einen Finger an den kleinen Knopf, den er im Ohr trug, auch wenn er wusste, dass das an der Qualität des Signals zwischen ihm und Lewandowski rein gar nichts änderte.
»Ja, weit und breit niemand in Sicht«, kommentierte Lewandowski die Bilder, die das Implantat vor seinem Auge ablaufen ließ. Er hatte Teile des Sicherheitssystems der Uni angezapft und las nicht nur die Bilder aus dem System aus, um nahende Personen zu erkennen, er überschrieb sie auch stetig, damit der Einbruch möglichst lange unentdeckt bleiben würde. »Ihr könnt rein. Vergiss nicht: 15 Minuten.«
Damit war die Leitung wieder still. Peter zog die Chipkarte hervor, die ihnen den Zugang zum allerheiligsten gewähren sollte. Sie rechneten mit einem Zeitfenster von 15 Minuten, bis der Wurm, der sich auf der Karte befand und die Tür öffnen sollte, entdeckt und identifiziert sein würde. 15 Minuten bis zum Eintreffen der Ordnungshüter. Er schob die Karte in den Spalt neben der Labortür und drückt seinen Daumen auf das Feld darüber. Das Feld wurde augenblicklich grün und er erwartete, dass sich die Labortür nun jede Sekunde öffnete. Stattdessen erlosch das Licht des Scanners ganz und die Tür blieb, wie sie war. Peter fluchte laut.
»Lewandowski, die Karte geht nicht. Die Tür hat sich abgeschaltet. Irgendwelche Ideen? Lewandowski?«
Es kam keine Antwort. Er wandte sich an Fluffy. »Der Funk ist ausgefallen. Versuch den Zugang zur Tür zu überbrücken, ich weiß nicht, wie viel Zeit uns bleibt.«
Er dachte darüber nach abzubrechen, aber eine zweite Chance würden sie nicht bekommen.
Fluffy trat an die Tür und versuchte einen Kontakt zu finden, mit dem er sich verbinden konnte. Während er noch dabei war, die Verkleidung des Sicherheitssystems abzulösen, näherten sich Schritte. Peter gab Lisa-Marie ein Zeichen sich an die Wand zu drücken. Er zog einen Taser aus der Tasche und ging in die Hocke, um möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. Schmerz schoss durch sein Bein. Der Bruch verheilte nicht schnell genug. Der Plan für heute enthielt zu viele Schwachstellen, er hätte die Sache nach Skinnys Tod ganz abblasen sollen. Die Schritte wurden lauter. Jemand eilte in ihrer Richtung durch den Gang. Da bog Lewandowski um die Ecke.
»Was machst du hier?« Peter sah ihn verwirrt an.
»Der Funk ist gestört worden. Als ich gesehen habe, dass ihr mit der Karte nicht reinkommt, habe ich beschlossen einzugreifen.«
»Funktioniert das Implantat noch?«
»Ich denke schon. Im Moment sollte die Bahn frei sein.«
»Aber wenn man dich hier sieht«, begann Lisa-Marie.
»Wenn man mich bei dieser Nummer erwischt, ändern sich manche Pläne eben«, fiel Lewandowski ihr ins Wort. »Lass das mal meine Sorge sein.«

Einen Augenblick besah er sich Fluffys erfolgloses Treiben, dann winkte er ab und drückte die Verkleidung des Scanners wieder an ihren Platz.
»So wird das nichts«, sagte er, ohne einen von ihnen wirklich zu adressieren. Er schien laut nachzudenken. »Sie haben irgendwas am Zugang geändert, und das in letzter Minute. Es bleibt wohl keine Alternative.« Und bevor einer von ihnen ihn zurückhalten konnte, zog er eine schwarze Chipkarte aus seiner Tasche und schob sie in den Türöffner.
»Bis du vollkommen bescheuert?«, fuhr Peter ihn an. »Du kannst doch nicht deine eigene Karte nehmen.«
»Im Zweifelsfall ist mir meine Karte gestern geklaut worden. Aber da der zuständige Kollege nicht in den nächsten paar Minuten die restlichen Sicherheitssysteme im Raum deaktiviert, wird ein Alarm ausgelöst. Da hilft die offene Tür wenig. Also zurück zum Plan. Das Zeitfenster, bis jemand kontrollieren kommt, dürfte eher kleiner geworden sein. Und denkt dran: Ab jetzt kein Wort mehr!«
Die Tür zum Labor öffnete sich geräuschlos. Zum ersten Mal konnte Peter einen Blick in den Raum werfen, den er in den letzten Wochen so ausgiebig studiert hatte. Konstruktionspläne und Bilder von Überwachungskameras reichten zwar, um zu planen, aber sie vermittelten selten ein wirkliches Gefühl dafür, wie ein Raum wirkte. Er hatte sich das Labor kälter, steriler vorgestellt als den Anblick, der sich ihm nun bot. Die breiten Schränke, die alle vier Wände säumten hatten bunte Türen und Schubladen. Auf der Theke, die von der Mitte des Raumes nach rechts bis zur Wand führte, stand ein kleiner eingetopfter Kaktus, neben dem eine Schalttafel an der Wand in Gelb und Grün leuchtete. Das alles wurde von einem roten, seltsam indirekten Licht bestrahlt, das von den Lichtschranken am Boden ausging. Peter hatte sich nicht die Mühe gemacht, in Erfahrung zu bringen, wer diese Spielerei ursprünglich installiert hatte, aber sie hatte ihm einiges an Kopfzerbrechen bereitet, bis ihm die Lösung wie Schuppen von den Augen gefallen war. Die 20 Lichtschranken, die in dünnen roten Strahlen vom Boden bis zu einem guten Meter Höhe in unregelmäßigen Mustern umhertanzten, verhinderten gemeinsam mit den Wärmesensoren in Boden und Wänden ein unbefugtes Eindringen. Bei der Planung hatte nur niemand damit gerechnet, dass es möglich war, die Distanz bis zur Oberfläche der Theke im Sprung zu überwinden. Ohne Lisa-Marie wäre für sie der Zugang schlicht unmöglich gewesen. Und den Sender nachzubauen, mit dem das Sicherheitssystem deaktiviert werden konnte, hatte sich als Ding der Unmöglichkeit herausgestellt. Er war zu gut verschlüsselt und die Codes dafür nur dem Professor allein bekannt. In der hinteren linken Ecke des Raumes befand sich hinter einer der Schranktüren das Objekt ihrer Begierde. Doch bis dahin galt es noch ein paar Hürden zu nehmen. Solange das Sicherheitssystem angeschaltet war, durften sie nur über Handzeichen kommunizieren. Jedes Geräusch, das einen gewissen Pegel überstieg, würde ebenfalls einen Alarm auslösen. Peter und Lisa-Marie sahen sich an und wussten, dass sie in diesem Moment beide das Gleiche dachten. Wieder hing alles an ihr. Wieder mussten sie sich auf sie verlassen. Er spürte und sah ihre Anspannung und Versagensangst, die mit jeder Sekunde wuchs. Er brauchte einen Moment um die aufkeimenden Gedanken an seine Zeit im Gefängnis und all den Frust herunterzuschlucken. Er trat zu ihr und küsste sie. Nach einem kurzen Moment wandte sich Lisa-Marie ab und ging fünf Schritte von der Tür weg. Sie wartete noch einen Atemzug und sprintete los. Dann sprang sie.

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